Der Weg zum Heiligen Jakob über den „Camino de Santiago“ zur Kathedrale von Santiago de Compostela ist weit. Das Laufen des Jakobsweges, immer der gleichnamigen Muschel folgend, hat sich zu einer weltweiten Bewegung entwickelt. Daran hat sich auch Hans Reh beteiligt. Er lief in zwei Monaten, im April und Mai, 900 Kilometer.
Nicht nur, dass Reh Menschen aus vielen Erdteilen kennenlernte und Freundschaften schloss. Sein „Innen- leben“ habe sich verändert, erzählt er. Und, wie schon so viele Jakobsweg- Wanderer vor ihm, wurde er auch vom „Jakobsweg-Virus“ angesteckt: „Wenn möglich, will ich den Weg nochmals gehen.“ Und natürlich: wieder ohne Blasen und Fußprobleme. Reh ist Jahrgang 1949 und Rentner. Der gelernte Sägewerks-Facharbeiter las vor einigen Jahren das Buch von Hape Kerkeling „Ich bin dann mal weg“. Das war das Schlüsselerlebnis. „Ich war vom Buch fasziniert. Das wollte ich selbst nachempfinden“, er- zählt er. Und zudem sei das Ganze ja eine gute Sache. 25 Prozent, so schätzte er ein, seien für ihn sportliche Herausforderung; der Rest des Einsatzes wäre für ihn persönlich, für sein seelisches Wohlbefinden, befand der Katholik.
Um der sportlichen Herausforderung gewachsen zu sein, ging er auf Tour durch den Pfälzerwald, wo er 1500 Kilometer in drei Monaten er- wanderte. Immer alleine, zur guten Vorbereitung. Am 1. April ging es Richtung Frankreich. Mit dem Zug nach Kaiserslautern, dann nach Mannheim und von dort mit dem Euroliner nach Bayonne in Frankreich. Dann nach Saint-Jean-Pied-de-Port am Fuße der Pyrenäen. Als Zeitlimit hatte sich der Leimener zwei Monate für die 900 Kilometer gesetzt. Der Rucksack zeigte auf der Waage ein Gewicht von 8,7 Kilo. Mehr sollten es nicht werden. Er enthielt Wollsocken, Pflaster, Nylonstrümpfe, Salben und mehr. „Die Nylonstrümpfe waren ein Tipp meiner Lebensgefährtin. Darüber habe ich die normalen Socken gezogen. Das schützte gegen Blasen. Und in den Städten, bei Hitze, zog ich die Schuhe aus und lief auf Wollsocken. Noch so ein guter Lauf tipp“, erzählt Reh schmunzelnd.
Es war April und so musste er auf beide Witterungen, kalt und heiß, vorbereitet sein. Über die Pyrenäen wurden Skihandschuhe und Wollmütze angezogen. Es lagen dort bis zu 30 Zentimeter Schnee. Diese kälteresistenten Bekleidungsstücke ließ er in einer Herberge zurück, als er in die Sonne kam. Gerade der erste Anstieg, von 200 auf 1700 Meter Höhe, war eines seiner schlimmsten Erlebnisse. Ohne Vorbereitung hätte er es wohl nicht geschafft, befindet er rückblickend. Nur 30 Prozent der Jakobs-wanderer, die über die Pyrenäen gehen, würden es schaffen, habe er erfahren.
Andere Pilger sprechen ihn immer wieder auf das Kreuz und seinen Namen an.
Schon auf der ersten Etappe habe er ganz viele Menschen kennengelernt – „jeder duzt jeden, jeder hilft jedem. Das ist ganz fantastisch. So eine Gemeinschaft habe ich vorher noch nie erlebt“, berichtet Hans Reh immer noch erstaunt. Der Rentner hatte auf seinen Rucksack seinen Namen „Johannes“ angebracht und ein Kreuz war noch daran befestigt. Darauf sei er immer wieder angesprochen worden. Gefreut hat sich der Pfälzer über das Essensangebot. Ein Pilgermenü für zehn Euro sei stets ausreichend gewesen. Die Übernachtungen, etwa in guten privaten Herbergen, seien mit zehn Euro ebenfalls günstig. In den meisten Herbergen würden Männer und Frauen „bunt gewürfelt“ in gleichen Räumen schlafen; die Sanitäreinrichtungen seien für alle da. Nur in den Klöstern war alles getrennt, erwähnt Reh. Es gab auch Herbergen, wo der Wanderer sich selbst bekochen konnte. Hier wurden auch die Wehwehchen gepflegt. Der durchtrainierte Leimener brauchte aus seiner Rucksackapotheke nichts. Dafür stand er gerne parat, salbte wunde Füße, knetete verspannte Waden, pflasterte offene Blasen. „Gut eingelaufenes Schuhwerk ist das Beste. Das sollte eigentlich jeder wissen“, bemerkt er.
Grandiose Landschaften, überwältigende Kirchenbauten, uralte Brücken und Pfeiler aus Stein, das alles habe ihn auf seinem Marsch tief beeindruckt, sagt Reh. Und die stete Freundlichkeit – „jeder begegnet dir mit einem Lächeln“ – hinterließ Spuren bei ihm. Hoch ging es bei El Ganso, wo man von einer Ebene auf etwa 800 Metern auf 1500 Meter Höhe marschieren musste – „und das ohne Wollmütze und Skihandschuhe“. Seine bei einem Juwelier in der Heimat gekauften Steine legte Reh auf dem Monte Irago ab, am „Cruz de Ferro“, dem berühmten Eisenkreuz auf einem langen Eichenpfahl, und sprach ein Gebet dazu. Die Steine stehen für die Sorgen, die man hier abwerfen kann.
Von der Höhe El Ganso hatte er schon den Blick auf die Spitzen der Kathedrale von Santiago de Compostela. Morgens um 9 Uhr fand er sich auf der Plaza dort ein. „Die Menschen, die hier eintreffen, singen und tanzen. Alle freuen sich, es geschafft zu haben. Ich freute mich auch.“ Natürlich führte ihn der erste Gang in die überwältigende Kathedrale. Dort erlebte er bewegt den Gottesdienst mit; schaute hoch zum überschwingenden Weihrauchfass. „Das alles war tief beeindruckend. Das vergisst man nie“, sagt Reh. Hier stand er auch am Grab des Heiligen Jakob. Reh wollte ganz bis zum Ende laufen. Zum „Welt- ende“, dem Kap Finisterre (60 Kilometer westlich von Santiago) an der spanischen Atlantikküste, zum 0,00- Stein, der auch das Ende des Jakobsweges markiert.
Reh hält immer noch Kontakt zu einer Gruppe, mit der er ein gutes Stück gelaufen war.
Die kürzeste Etappe, die er lief, war 32 Kilometer lang. Einmal habe er ei- ne Gruppe verloren, mit der er schon ein gutes Stück gelaufen war und dann, nach 32 Kilometern, habe er sie im dritten Stock einer Herberge wie- der angetroffen „alle riefen, der Hans ist wieder da“. Mit dieser Gruppe stehe er noch in Kontakt. Fünf Pilgerpässe mit jeweils 40 Stempeln beweisen, dass er „leibhaftig“ mitmarschierte. In seiner „compostela“, seiner Pilgerurkunde, ist vermerkt, dass er im 800. Jahr nach dem Besuch von Franz von Assisi den Wallfahrtsort be- suchte. Und diese Urkunde wird nur alle 100 Jahre ausgestellt. „Meine Enkel werden das wohl nicht erleben.“ Als „besonderes Erlebnis“ erinnert er sich, dass er zwei Tage vor Santiago von einem Glücksgefühl überwältigt wurde, wie er es noch nie empfunden hatte. „Von innen heraus. Die Freude, du hast es geschafft.“ Ruhe und Gelassenheit habe er sich zu Eigen gemacht und gemerkt, „dass ich irgendwie ein anderer Mensch bin“. Sein Vorsatz steht: „Wenn ich gesund bleibe und fit, dann werde ich wieder im September oder Oktober diesen Weg gehen, in ein, zwei Jahren. Ich kann nur jedem empfehlen, den Jakobsweg zu gehen; aber bitte nicht unvorbereitet“, darauf weist Hans Reh ausdrücklich hin.
Text: Marianne Teuscher, Fotos: 2xPrivat, 1xMarianne Teuscher